Strassenperformance und Tag 3
Kaum Arme gefunden an Sparkassenstrasse
Der Donnerstag fing als Tribut an die lange Nacht sehr spät an. Zuerst musste ich die Küche gründlich reinigen. Dann wieder Arbeit am Blog ehe ich Pasta kochte, weil Sonja sehr spät von ihrer Sitzung für die neue
Vissidarte zurück kam.
Wie wir unterwegs über die Postbrücke gehen, schaue ich ein Gesicht fasziniert an, das mich extrem an Hämu aus
Zofingen erinnert. Je näher wir uns kommen, je mehr mustert mich dieses Gesicht ebenfalls, bis wir uns anstrahlen und die Hand schütteln: es ist Hämu, unser Minister für Ombudspersonal, der gleichzeitig einer der wenigen ist mit doppelter politscher Karriere, ist er doch schon seit Jahren
Stadtrat in Zofingen und amtet sogar als Vizeammann! Lang lebe das
Touristenparadies Meran!
Wir kamen extrem pünktlich an den Ort des Geschehens: die Sparkassenstrasse beim Kunsthaus in Meran. Hier komplettierte ich mein Königstenue und stellte mich für eine gute Stunde als Denkmal auf einen der Sitzbänke: nahezu in Napoleonmanier mit den Sprachspiele-Flyern in der rechte Hand.
Denk Mal
Das Ganze erwies sich als extrem spannende Erfahrung:
- zuerst mal ist es körperlich sehr anstrengend, mein rechter Bizeps schmerzt jetzt noch, stundenlang danach, trotz Tigerbalsam. Innert weniger Minuten spürst du die Beine, das Kreuz zeigt dir jegliche Unausgewogenheit an und du möchtest dich am Liebsten beugen und strecken, ständig willst du von einem Fuss auf den andern hüpfen! Aber irgendwann tauchst du in eine Art Nirwana -oder zumindest stoische Ruhe ein, und schwupps vermeldet dir deine Assistentin, dass die erste halbe Stunde geschafft ist
- dann musst du ruhig bleiben, selbst wenn du die lustigsten Reaktionen des Publikums beobachtest: mal zupfen sie dich am Mantel, mal lachen sie dich an, mal erschrecken sie sich zu Tode!
- weiter musst du mit keiner Wimper zucken, wenn dich jemand anspricht, was natürlich oft passiert, zum Glück trägst du Sonnenbrille und niemand sieht, wie deine Pupillen umhrirren
- zuletzt darfst du dir nichts anmerken lassen, dass du beobachtest, wie mehr als die Hälfte der flutenden Menschenmenge scheinbar blindlings durch die Gegend läuft.
Das wiedererwachte Denkmal spricht mit Kind
oder auch: typische Tyrannenszene
Punkt vier Uhr stieg ich vom Podest und versuchte meine körperlichen Verspannungen bei Kaffee und Kastanientorte zu lockern, ehe ich mich für die Armenspeisung unter das hin und her eilende Volk mischte: zuerst versuchte ich eine ökonomische Zustandsanalyse mit der Frage:
Sind Sie arm?
Nun verkehren in der Sparkassenstrasse in Meran mehrheitlich gutsituierte Menschen, welche der Frage gerne distinguiert auswichen oder sie gaben sich philosophisch und konterten mit einer Gegenfrage:
Wie meinen Sie das? oder
Wo beginnt Armut? oder
Im Vergleich zu wem?
Andere wiederum wussten sogleich, dass sie gewiss nicht arm seien, Daniele zum Beispiel, der nette Verkäufer vom Modegeschäft, wusste diese Gewissheit zu definieren: Ich bin zufrieden! Von ihm verabschiedete ich mich dankend für diese Erkenntnis.
Insgesamt fand ich nur zwei Individuen, die sich nach genauer Betrachtung als arm bezeichneten, an meiner Armenspeisung teilnahmen und sich von meinem kleinen königlichen Löffel eine Miniportion gesundester Meraner Kurluft schnappten, welche sie für alle Zeiten von aller Armut heilen soll!
Auch hier eine weitere Erfahrung als Performer: immer schön freundlich bleiben, selbst wenn die Leute gereizt oder gar aggressiv reagieren.
Auch diese nette Dame an der Kunsthauskasse ist
genau betrachtet nicht arm
Nach Abschluss der Performance besprechen wir im Kunsthaus technische Details für den Samstag und kehren zurück zu einem gemütlichen Restenznacht bei Gewitterstimmung und Datensalat.
Den Tag beschliesse ich mit der Lösung technischer Probleme: ein Laptop braucht eine doppelte Systemwiederherstellung um überhaupt noch aufzustarten (wie ich diesen Satz schreibe, stellt mein Laptop selbständig ab um Systemupdates zu installieren!). Auf jeden Fall geht's jetzt wieder...